2021: Partne­ring oder Claim­ma­nage­ment auf deutschen Baustellen?

1. Der Grund­tat­be­stand und die Corona-Pandemie
Bauvor­ha­ben gelten schon seit der Antike als riskan­tes Unter­fan­gen. Ausein­an­der­set­zun­gen zwischen Auftrag­ge­bern und Auftrag­neh­mern prägen seither die Baupro­jekt­pra­xis. Projekte mit immer anspruchs­vol­le­ren Projekt­zie­len, beglei­tet durch eine zuneh­mende Spezia­li­sie­rung und Atomi­sie­rung von Aufgaben und Verant­wort­lich­kei­ten werden zum Kristal­li­sa­ti­ons­punkt gutsher­ren­ar­tig auftre­ten­der Auftrag­ge­ber und claim­ori­en­tier­ter Auftrag­neh­mer. So durch­lau­fen viele Baupro­jekte wirtschaft­lich schäd­li­che Konflikte mit der Folge von gravie­ren­den Ablauf­stö­run­gen auf dem Weg zu ihrer Realisierung.

Die aktuell noch andau­ernde Corona-Pandemie zwingt die Vertrags­par­teien temporär zu verstärk­ter Koope­ra­tion und Berück­sich­ti­gung beider­sei­ti­ger Inter­es­sen zur Abfede­rung und Überwin­dung der von ihnen nur bedingt beein­fluss­ba­ren Störun­gen der Projekt­ab­läufe. Die Pandemie ist gleich­zei­tig eine Art „Amnestie“ für Fehlsteue­run­gen in vorma­li­gen Projekt­ab­läu­fen, insbe­son­dere zuguns­ten der Projekt­lei­tun­gen, die ihre Projekte derzeit ohne Gesichts­ver­lust neu ausrich­ten können und müssen. Es darf indessen prognos­ti­ziert werden, dass die Vertrags­par­teien nach Überwin­dung der Pandemie und der erzwun­ge­nen partner­schaft­li­chen Zusam­men­ar­beit jeden­falls teilweise zu früheren Verhal­tens­mus­tern zurückkehren.

2. Partne­ring
Bereits Ende des letzten Jahrhun­derts haben Wissen­schaft­ler und Prakti­ker die aus den anglo­ame­ri­ka­ni­schen Ländern herstam­men­den Gedanken des Partne­rings für deutsche Bauvor­ha­ben frucht­bar machen wollen. Dadurch sollte einem reinen Preis­wett­be­werb und Projekt­ab­wick­lun­gen mit Ellen­bo­gen­men­ta­li­tät vorge­beugt und eine bessere Ausrich­tung beider Vertrags­par­teien auf den Projekt­er­folg herbei­ge­führt werden. Viele deutsche Baupro­jekte sind inzwi­schen auf der Grund­lage des Partne­ring-Ansatzes erfolg­reich umgesetzt worden. Dabei sind in einigen Projek­ten die Vertrags­par­teien quasi „natür­lich“ partner­schaft­lich mitein­an­der umgegan­gen, in anderen Fällen sind spezi­fi­sche (vertrag­li­che) Ausprä­gun­gen des Partne­ring-Ansatzes verein­bart worden. Partne­ring stößt aber dort an seine Grenzen, wo existen­zi­elle Risiken einzel­ner Markt­be­tei­lig­ter berührt sind oder Betei­ligte sich schlicht­weg nicht partner­schaft­lich verhal­ten können oder wollen. Vielfach sind auch die Projekt­lei­ter auf Auftrag­ge­ber- wie auch auf Auftrag­neh­mer­seite entspre­chend aktuel­ler Manage­ment­leh­ren mit Zielver­ein­ba­run­gen einem kurzfris­ti­gen Erfolg verpflich­tet, sodass Partne­ring-Apelle nicht immer gehört werden. Mehr als 20 Jahre Partne­ring-Debatte haben Partne­ring daher nicht zum Durch­bruch verhel­fen können.

3. Neue Vertragsmodelle
Inzwi­schen sind auf der Basis des Partne­ring-Gedan­ken­gu­tes von Auftrag­ge­bern und Auftrag­neh­mern – gestützt durch die Wissen­schaft – neue Bauver­trags­mo­delle für eine möglichst konflikt­freie und erfolg­ver­spre­chende partner­schaft­li­che Projekt­ab­wick­lung entwi­ckelt worden. Ausgangs­punkt waren dabei partner­schaft­li­che Wettbe­werbs­mo­delle wie General­un­ter­neh­mer­mo­delle mit garan­tier­tem Maximum­preis und Construc­tion-Manage­ment-Modelle mit einstu­fi­ger oder zweistu­fi­ger Ausrich­tung. Unter Verwen­dung einzel­ner Modell­ele­mente dieser frühen Partne­ring­ver­trags­ty­po­lo­gien sind inzwi­schen neue Versuche unter­nom­men worden, mit spezi­el­len Vertrags­op­tio­nen Partne­ring zu stärken. Hier sind insbe­son­dere Bestre­bun­gen, IPD- und Mehrpar­tei­en­ver­träge praxis­taug­lich zu machen, zu nennen. Wesent­li­ches neues Element dieser Modelle ist die frühzei­tige Bindung von wichti­gen Projekt­part­nern und deren Einbin­dung in Projekt­lei­tungs- und Steue­rungs­gre­mien zur gemein­sa­men Errei­chung der Projekt­ziele. Diese Projekt­an­sätze sind aller­dings vornehm­lich für große, komplexe Projekte geeignet und betref­fen nur eine oberste Ebene von Projekt­be­tei­lig­ten. Generell ist fraglich, ob allein mit Vertrags­mo­del­len ein partner­schaft­li­ches Verhal­ten sicher­ge­stellt werden kann. Partne­ring ist nämlich auch eine Frage der Haltung. Immerhin hat sich inzwi­schen ein gewisser Sinnes­wan­del breit­ge­macht. Kaum ein größeres Projekt wird gestar­tet, ohne dass die maßgeb­li­chen Projekt­ver­träge mit Partne­ring-Ansätzen verbun­den werden und nicht zumin­dest eine projekt­in­terne Konflikt­schlich­tung vorsehen.

4. Neue Managementmethoden
Auf dem Weg zu einer effizi­en­te­ren Projekt­ab­wick­lung haben sich insbe­son­dere in den Bezie­hun­gen zwischen General­un­ter­neh­mern und deren Auftrag­neh­mer neue Manage­ment­me­tho­den entwi­ckelt. Zu nennen sind dabei insbe­son­dere digitale Planungs­me­tho­den (wie etwa Building Infor­ma­tion Model­ling – BIM). Mit ihrer Hilfe lässt sich der Planungs­pro­zess besser visua­li­sie­ren und trans­pa­ren­ter steuern. Agile und Lean-Manage­ment-Methoden fördern zudem das kolla­bo­ra­tive Zusam­men­wir­ken zwischen einzel­nen Baupart­nern und machen die Projekte mehr planbar und damit weniger störan­fäl­lig. Die Methoden setzen jedoch ein erprob­tes Zusam­men­ar­bei­ten voraus und werden derzeit nur in seltenen Fällen von Auftrag­ge­bern im Verhält­nis zu Einzel­un­ter­neh­men umgesetzt.

5. Das neue Bauvertragsrecht
Der Einfüh­rung des neuen Bauver­trags­rechts zum 01.01.2018 lag das erklärte Ziel zugrunde, Konflikte bei der Bauab­wick­lung einzu­däm­men. Speziell für das konflikt­träch­tige Änderungs­ma­nage­ment wollte der Gesetz­ge­ber Vorgaben zur Befrie­dung der Vertrags­par­teien entwi­ckeln. Bei der Umset­zung sind jedoch neue Einfalls­tore für Speku­la­ti­ons- und Claim­stra­te­gien geschaf­fen worden (etwa die Still­hal­te­pflicht für Verhand­lun­gen (§ 650b Abs. 2 BGB), die nur AN-seitig mögliche Wahl der Art der Vergü­tungs­fort­schrei­bung (§ 650c Abs. 2 BGB) und die Sonder­re­ge­lung für Abschlags­zah­lun­gen auf Nachtrags­for­de­run­gen (§ 650c Abs. 3 BGB)). Das neue Bauver­trags­recht wird daher, per Saldo gesehen, kaum einen wesent­li­chen Beitrag für ein mehr partner­schaft­li­ches Projekt mitein­an­der begrün­den können. Dies gilt umso mehr, als die ganz überwie­gende Anzahl der Baube­tei­lig­ten, insbe­son­dere auch die öffent­li­chen Auftrag­ge­ber, dem Gesetz die Gefolg­schaft verwei­gern und zuläs­si­ger­weise auf die VOB/B-Methodik zur Bewäl­ti­gung des Änderungs­ma­nage­ments abstellen.

6. Die Rechtsprechung
Die Entwick­lung zur Umset­zung des Partne­ring-Gedan­ken­guts im deutschen Bauver­trags­recht verlief parallel mit der Entwick­lung der Koope­ra­ti­ons­recht­spre­chung des BGH, die ebenfalls beiden Vertrags­par­teien Verpflich­tun­gen aufer­legte, Konflikte möglichst zu vermei­den oder einver­nehm­lich zu klären.

In einer Reihe von Entschei­dun­gen versucht die jüngste Recht­spre­chung des BGH, Auswüchse einsei­ti­ger Inter­es­sen­wahr­neh­mung einzu­däm­men. Das gilt insbe­son­dere für die Vergü­tungs­fol­gen­an­sprü­che von Bauab­lauf­stö­run­gen nach § 642 BGB. Viele Markt­be­tei­ligte haben diese Vorschrift so inter­pre­tiert, dass Auftrag­neh­mern bei Projekt­ab­lauf­stö­run­gen, die auf auftrag­ge­ber­sei­ti­gen Mitwir­kungs­ob­lie­gen­heits­pflicht­ver­let­zun­gen beruhen (etwa Störun­gen aus Vorun­ter­neh­mer­sphä­ren), Ansprü­che auf volle Erwirt­schaf­tung geplan­ter Erträge zuzubil­li­gen seien. Im Sinne einer Renta­bi­li­täts­ver­mu­tung sollten bei einge­tre­te­nen Ablauf­stö­run­gen nicht wie geplant erwirt­schaf­tete Allge­meine Geschäfts­kos­ten ersetzt werden, sodass Auftrag­neh­mer in Störungs­zeit­räu­men finan­zi­ell genauso gut gestellt wurden wie bei einer ungestör­ten Projekt­ab­wick­lung. Der in seiner Projekt­ab­wick­lung gestörte Bauun­ter­neh­mer konnte deshalb ohne Ressour­cen­ein­satz genauso gut verdie­nen wie in einem ungestör­ten Zeitraum. Darüber hinaus ergab sich in diesen Fällen zusätz­li­ches Claim­po­ten­tial im Hinblick auf notwen­dige Beschleu­ni­gungs­maß­nah­men. Ausein­an­der­set­zun­gen um diese Themen haben in der Vergan­gen­heit für viele Problem­la­gen bei Projek­ten gesorgt. Die Recht­spre­chung des BGH hat nun einen Schluss­strich unter diese Proble­ma­tik gesetzt und entschie­den, dass ein Auftrag­neh­mer bei einem Still­stand, wenn dieser durch eine bloße Mitwir­kungs­ob­lie­gen­heits­ver­let­zung des Auftrag­ge­bers verur­sacht wurde, zwar seine still­lie­gen­den Ressour­cen bezahlt bekommt, aller­dings keine kalku­la­tive Deckung von Gemein­kos­ten und insbe­son­dere Gewinn­erwar­tun­gen.1 Über die Angemes­sen­heit eines solchen Leitge­dan­kens mag man streiten. Er wird aller­dings dazu führen, das Inter­esse von Auftrag­neh­mern, Projekt­ab­lauf­stö­run­gen zu verdie­nen, eher abnehmen wird. Mit seiner Entschei­dung vom 22.10.2020 hat der BGH zudem entschie­den, dass der Auftrag­ge­ber als Bestand­teil der Vergü­tung für Nachträge (hier nach § 2 Abs. 5, 6 VOB/B) grund­sätz­lich nicht die Kosten eines baube­trieb­li­chen Gutach­tens zu bezahlen hat. Die Kosten für die Berech­nung der Ansprü­che sind grund­sätz­lich nicht nachtrags­fä­hig. Damit entfällt die Vergü­tung für Nachtrags­jä­ger!2

Aber die Recht­spre­chung ist nicht auf einem Auge blind: Die Eingren­zung der Ansprü­che der Auftrag­neh­mer aus gestör­ten Bauab­läu­fen gehen einher mit der Inanspruch­nahme einer größeren Schät­zungs­frei­heit der Gerichte bei der Feststel­lung der Folgen der Bauab­lauf­stö­rung. Das gilt insbe­son­dere bei Bauzeit­ver­län­ge­run­gen, und zwar sowohl zuguns­ten von Planungs- wie auch Baube­tei­lig­ten.3

7. Ergebnis
Wenngleich die aufge­zeig­ten einzel­nen Entwick­lungs­stränge nicht für sich in der Lage sind, die deutsche Projekt­ab­wick­lungs­me­tho­dik grund­le­gend zu verbes­sern, so dass Frieden auf den Baustel­len einkehrt, so sind sie doch in der Summe geeignet, Bauab­wick­lungs­pro­zesse trans­pa­ren­ter, prozess­ori­en­tier­ter und mehr planbar zu machen. Baupro­jekte werden daher auch im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhun­derts nicht konflikt­frei abgewi­ckelt werden. Der Mix aus Partne­ring-Ansätzen, neuen Vertrags­mo­del­len, Manage­ment- Methoden und einer konflikt­ein­däm­men­den Recht­spre­chung werden aller­dings Auswüchse des Claim- Manage­ments in deutschen Baupro­jek­ten begren­zen. Der Boden für eine mehr partner­schaft­li­che Projekt­ab­wick­lung ist damit für das nächste Jahrzehnt bereitet. Nehmen wir die damit verbun­de­nen Heraus­for­de­run­gen an!

1 BGH, Urteil vom 26.10.2017, NJW 2018, 544; BGH, Urteil vom 30.01.2020, NZBau 2020, 362.
2 BGH, Urteil vom 22.10.2020, VII ZR 10/17, IBR RS 2020, 3407.
3 OLG Dresden, 10 U 101/18 vom 06.09.2018, IBR RS 2020, 3219.

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