Neben der Sicherstellung einer hochwertigen Bedarfsplanung sollten Investoren und Bauherren bereits vor Projektbeginn im Zuge einer Organisations- und Leistungsstrukturanalyse mithilfe erfahrener Spezialisten ehrlich bewerten wie Sie inhaltlich und organisatorisch auf die Abwicklung eines Projektes eingerichtet sind.
Prof. Dr. Norbert Preuß ist geschäftsführender Gesellschafter bei Preuss Project Partner, langjähriger Leiter der AHO-Fachkommission Projektsteuerung/Projekt management und ausgewiesener Experte für komplexe Projekte sowie Krisensituationen. Herr M. Sc. Henrik Wasemann ist aktiv in der Projektsteuerung von interdisziplinären Projekten eingebunden.
Henrik Wasemann: Was bedeutet Resilienz in Bauprojekten?
Prof. Norbert Preuß: Resilienz bedeutet, dass Bauprojekte widerstandsfähig gegenüber eintretenden Störungen, Änderungen oder Konflikten sind. Projekte sollten im Hinblick eines erfolgreichen Abschlusses darauf vorbereitet sein, dass Störungen eintreten. Es gibt nur wenige Projekte die störungsfrei den geplanten Idealprozess durchlaufen. Dementsprechend sollten Projektorganisationen widerstandsfähig gestaltet sein, um die Folgen aus solchen oft unvorhersehbaren Einflüssen in Bezug auf erhöhte Kosten, verzögerte Termine oder reduzierte Qualitäten auf ein Mindestmaß zu beschränken.
Was ist grundlegend wichtig für ein hohes Maß an Resilienz?
Ein Projekt muss personell und organisatorisch darauf eingerichtet sein den Anforderungen dieser potentiell auftretenden Störungen gerecht zu werden. Das betrifft im Grundsatz erstmal die Gesamtorganisation mit den Zuständigkeiten des Bauherrn.
Zum einen spielt hier die Wahl eines geeigneten Projektleiters auf Bauherrnseite als zentrale Projektanlaufstelle für das gesamte projektbezogene Stakeholder-Netzwerk eine wesentliche Rolle. Treten unvorhersehbare Einflüsse auf, ist es Aufgabe des Projekt- leiters diese schnell zu erfassen und zur Lösungsfindung an die entsprechenden Beteiligten weiter zu transportieren. Erfahrungen zeigen, dass hier nicht allein die Qualifikation und Erfahrung, sondern auch die Kapazität von entscheidender Bedeutung ist. Bei Projekten einer gewissen Größenordnung braucht die Projektleitungsfunktion des Auftraggebers nicht nur eine zentrale Person, sondern möglicherweise auch entsprechende Unterstützungskräfte in Form einer Projektsteuerung.
Zum anderen ist die Sicherstellung der Entscheidungsfähigkeit im Projekt ein wichtiger Kernfaktor. Um schnellstmöglich auf erfasste Störungen reagieren zu können müssen Strukturen etabliert sein, die eine professionelle Entscheidungsvorbereitung und Entscheidungs- fähigkeit sicherstellen. Auch hier nimmt der Projektleiter als Schlüsselkommunikator zwischen der operativen und der ersten Entscheidungsebene, z.B. dem Vorstand eines Bauherrn oder eines Investors, eine zentrale Rolle ein.
Darüber hinaus sollte es zur effektiven Umsetzung einer getroffenen Entscheidung bzw. einer Lösung der durch Störung auftretenden Probleme das Ziel sein, ein bestmögliches konstruktives Miteinander aller Projektbeteiligten zu erreichen. Man bezeichnet Projekte ja auch als Unternehmen auf Zeit und da gehören dann natürlich neben dem bauherrnseitigen Team auch die ausführenden Partner dazu.
Was sind vor diesem Hintergrund derzeit die größten Herausforderungen, Störungs- und Konfliktpotentiale gegen die ein Bauprojekt gewappnet sein sollte?
Neben den aktuellen Herausforderungen auf die ich später eingehe, sehe ich im Wesentlichen drei Störungs- und Konfliktpotentiale die letztlich auch sehr häufig eintreten.
Viele Probleme resultieren aus einer fehlerhaften Bedarfsplanung und Definition der Projektziele, insbesondere im Hinblick auf die Einarbeitung der Nutzerbedürfnisse. Dies führt somit zu einer mangelnden Grundlage für die darauffolgende Planung. Vor diesem Hintergrund entstehen dann häufig Störungen und Konflikte in der Gestalt, dass man dies erst zu einem späteren Zeitpunkt feststellt, im schlimmsten Fall erst wenn die Planung schon abgeschlossen ist und sich das Projekt bereits in der Ausführung befindet. Die Folge sind meist kostenintensive und terminverzögernde Änderungen. Aber auch der in der Bedarfsplanung ermittelte Kostenrahmen ist häufig einfach zu optimistisch, was in der Regel zu Terminanpassungen führt.
Ein weiteres häufig eintretendes Störungspotential liegt in den Schnittstellen zwischen der Planung und Ausführung und auch in der Wahl der verschiedenen Beschaffungsmodelle der Ausführung. Eine unschlüssige und unkoordinierte Planung die in der Schnittstelle an die ausführenden Firmen übergeben wird, birgt viele Probleme und Konflikte. Bauherrnseitig muss man über die Projektleitung und -steuerung im Grundsatz dafür Sorge tragen, dass die Planung brauchbar ist und sicherstellen, dass die Ausführungsfirma zu dem vertraglich definierten Zeitpunkt eine dem Planungsstand entsprechend vollständig koordinierte Planungsgrundlage erhält. Dies spielt insbesondere eine zunehmend wichtigere Rolle, da der Trend zu beobachten ist, dass investorseitig durch die Wahl von Kumulativleistungsträgern (z.B. Generalunternehmer oder Generalübernehmer) immer häufiger versucht wird möglichst alle Risiken in den Bereich der Ausführung zu transportieren. Wenn man aber einen Generalunternehmer für die Ausführung wählt und man als Vertragsgrundlage eine abschließend koordinierte Planung vereinbart, dann entstehen daraus in aller Regel Probleme. Man muss also rechtzeitig erkennen, welche Lücken man in der Planung hat und entsprechend gegensteuern. Häufig sind die Generalunternehmer organisatorisch und von ihrer Kompetenz her nicht auf die Lösung von Planungsproblemen und die Erstellung von koordinierten Ausführungsplanungen eingestellt. Die in der Schnittstelle zwischen Planung und Ausführung dann entstehenden Konflikte werden in einigen Fällen von einem sehr aggressiven Claim- Management-Verhalten begleitet.
Als drittes wesentliches Störungs- und Konfliktpotential ist eine nicht ausreichend funktionierende bauherrnseitige Projektleitung bzw. Projektsteuerung zu nennen. Dies liegt teilweise in einer falschen personellen Auswahl, begrenzten Kapazitäten und unzureichenden Strukturen sowie Verantwortlichkeiten begründet.
Neben diesen grundlegenden Faktoren ist klar festzustellen, dass die technische Gebäudeausrüstung immer komplexer wird und die ebenfalls immer weiter steigende Anzahl an Projektbeteiligten entsprechend stärker herausfordert als in der Vergangenheit. Vor diesem Hintergrund bedeutet eine zunehmende Komplexität natürlich ein höheres Störungspotential. Darüber hinaus, befindet sich die Baubranche zurzeit in einem Wandel. Neue methodische Ansätze aus dem Building Information Modeling (BIM), Lean Construction und nachhaltigen sowie energetischen Themenfeldern werden zunehmend in Projekte implementiert. Da diese Aspekte erheblichen Einfluss auf nahezu alle Prozesse der Projektabwicklung haben, oft aber noch am Anfang der Entwicklung stehen, bringen sie zurzeit noch gewisse Unsicherheiten mit sich. Diese wiederum bergen natürlich ebenfalls Störungspotential. Momentan entstehen noch nicht wirklich vollumfänglich bewertbare Einflüsse aus der Covid19-Pandemie. Hierzu stellen wir fest, dass sich die Auswirkungen in der Ausführung von Projekten noch in Grenzen halten.
Was können Bauherren und Investoren tun, um hier aktiv entgegenwirken?
Den größten Handlungsspielraum zur Prävention von Störungen und Konflikten als auch für ein hohes Maß an Widerstandsfähigkeit in einem Projekt liegen für Bauherren und Investoren in den ganz frühen Phasen eines Projektes. Bauherren sollten darauf achten, ggf. unter Hinzuziehung von spezialisierten Sonderberatern, eine professionelle Bedarfsplanung zu erstellen. Hier ist insbesondere großen Wert auf die Entwicklung des Nutzerbedarfsprogramms zu legen. Der spätere Nutzer sollte in diesen Prozessen intensiv involviert sein.
Parallel sollten Investoren und Bauherren bereits vor eigentlichem Projektbeginn, also in der Phase der Bedarfsplanung, im Zuge einer Organisations- und Leistungsstrukturanalyse ehrlich bewerten wie Sie inhaltlich und organisatorisch auf die Abwicklung eines Projektes eingerichtet sind. Dies sollte durch spezialisierte Experten mit einem sehr hohen Maß an Projektmanagement-Erfahrung geleistet werden. Hierbei ist zu empfehlen, dass es sich auch nicht um die identische Projektleitung/-steuerung handelt, die dann später für die Abwicklung der Planung und Ausführung verantwortlich ist, sondern um unabhängige, externe Experten die den Bauherrn im Vorfeld zu verschiedenen Fragestellungen unterstützen.
Hierbei handelt es sich im um die Abklärung welche Strukturen und Funktionen der Bauherr in der Projektrealisierung erfüllen muss und kann. Zum Beispiel die Eigenbeurteilung des Bauherrn, inwieweit er die Projektleitungsaufgaben gegenüber den voraussichtlichen Projektbeteiligten inhaltlich und kapazitativ darstellen kann.
Folglich muss eine Projektleitung und Projektsteuerung ausgewählt und beauftragt werden. Vor diesem Hintergrund muss der Bauherr in der Lage sein, die Anforderungen, Kriterien, Verträge und das Honorar für die Auswahl der Projektleitung und -steuerung zu definieren und die entsprechenden Schnittstellen zu klären. Dies trifft ebenfalls auf die weiteren Managementfunktionen in der Bauherrnorganisation zu. Für diese Beurteilung ist eine ausgeprägte Markterfahrung unerlässlich.
Des Weiteren muss definiert werden, welche Entscheidungsstrukturen notwendig sind. Dies betrifft auch den Umfang und den erforderlichen Zeitpunkt, die Top-Ebene des Investors einzubinden. Zuständigkeiten, Kompetenzabgrenzungen und auch Wertgrenzen von Entscheidungen sind zu definieren. Außerdem sind bauherrnseitige Vorgaben zur Projektkommunikation zu entwickeln. Dies betrifft die grundsätzliche Kommunikationsstruktur, die Anforderungen an das Berichtswesen und auch die Frage in welcher Form die Kommunikation stattfinden soll, z. B. über digitale Projekträume.
Die Wahrnehmung von bauherrn- bzw. investorseitigen Interessen gegenüber Nutzern und Betreibern muss sichergestellt werden. In diesem Zusammenhang ist rechtzeitig zu definieren wie der Nutzer eines Projektes oder potentielle Mieter im Rahmen der Projektabwicklung zu berücksichtigen sind und wie sich der Nutzer organisieren sollte, z.B. in Nutzer-Arbeitskreisen. Darüber hinaus ist zu klären welche konkreten Aufgaben, wenn es ein eigengenutztes Projekt ist, parallel zur Projektabwicklung für den Nutzer entstehen. In dieser frühen Phase sollte sich der Bauherr auch schon Gedanken über verschiedene Projektabwicklungsmodelle machen, bevor die Projektsteuerung eingeschaltet wird. Sollte ein Generalplaner statt Einzelplaner ausgewählt werden? Gibt es Präferenzen für die Unternehmenseinsatzform Generalübernehmer, Generalunternehmer oder Einzelvergaben?
Bei den Kosten geht es natürlich auch darum, dass man bauherrnseitig rechtzeitig überlegen muss, ob die Notwendigkeit eines ergänzenden externen Controllings besteht und wie die Schnittstelle zwischen unternehmensinternem Controlling und dem externem Controlling des Projektmanagements aussieht.
Zudem ist zu klären welche Anforderungen der Investor an das Risikomanagement hat.
Gleichermaßen muss der Rahmenterminplan auf Basis der bestehenden Vorgaben sorgfältig überlegt sein, so dass kein unrealistischer Terminplan als Basis für die Auswahl der Projektbeteiligten besteht.
Des Weiteren ist auch zu definieren welche Anforderungen es an die Projektabwicklung gibt, z. B. im Hinblick einer Implementierung der BIM-Abwicklungsmethodik oder auch Lean-Prozessen.
Wie kann ein Projekt in einer Krisensituationen wieder stabilisiert werden?
Das kann nicht pauschal beantwortet werden, sondern muss projektindividuell bewertet werden. Grundsätzlich sollte eine objektive Analyse der Ursachen durch den Projektsteuerer und Projektleiter erfolgen. Die Ergebnisse sollten zu einer Anpassung der organisatorischen und personellen Rahmenbedingungen führen (z.B. Änderung von Prozessen, Personen austauschen bzw. ergänzen, Kompetenzen und Vollmachten ggf. verändern etc.). Darüber hinaus sollten methodische Ansätze der Konfliktschlichtung im Projekt aktiviert und die Bauherrenorganisation bei Bedarf durch eine rechtliche und baubetriebliche Supervision ergänzt werden. Prägend in Krisensituationen sind häufig vorkommende Entscheidungsdefizite. Hier sollten gegebenenfalls gewisse Entscheidungsvollmachten angepasst und die bestehende Kommunikationsstruktur verändert werden, z. B. die Einführung von gesonderten und gut vorbereiteten Entscheidungsgremien oder anderen außerordentlichen Besprechungen zu Entscheidungen, Änderungen sowie weiteren Problemstellungen unter Einbezug der relevanten Entscheidungsträger im Projekt.
Was sind zusammenfassend Ihre persönlichen Top 3 Empfehlungen an Bauherren und Investoren für widerstandsfähige Projekte?
- Rechtzeitig über die Organisations- und Leistungsstrukturerfordernisse eines Projekts nachdenken und in Bezug auf die eigene Bauherrnorganisation- und -fähigkeiten analysieren. Hierzu sollten ggf. externe Spezialisten in der ganzen frühen Phase eines Projekts eingeschaltet werden, also noch bevor die Projektsteuerung dabei ist, und ein diesbzgl. internes Meinungsbild des Investors entwickeln.
- Qualifikation der bauherrnseitigen Projektleitung sicherstellen. Zuständigkeiten auch in der Geschäftsführungs- bzw. Top-Ebene des Investors klar definieren. Die Entscheidungsfähigkeit sicherstellen. Die Auswahl der Projektsteuerung über klare qualitätsbedingte Kriterien und nicht nur über den Preis zu vorzunehmen.
- Wirklich realistische Projektziele definieren im Hinblick Kosten, Qualität und Termine. Klare Fixierung der organisatorischen Notwendigkeiten.